Sucht als Chance
Am 26. Mai ist es 27 Jahre her, dass ich in Bad Essen die Klinik betrat, und eine Therapie gegen meine Alkoholkrankheit begann. Mein Arbeitgeber sowie mein Arzt hatten mir diesen Schritt empfohlen, da sie hier die Chance für mich sahen, mein Leben in den Griff zu bekommen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinerlei Einsicht, schließlich war ich ja kein Spiegeltrinker, der rund um die Uhr trank. Ich sah mein Trinken als eine Entspannung nach Feierabend, und diese Entspannung sollte ich auf einmal nicht mehr genießen können.
Jetzt, fast 27 Jahre später, ist mir unklar, was sich damals in meinem Kopf abgespielt hat. Hatte ich denn wirklich übersehen, dass ich den Alkohol immer wieder eingesetzt hatte, dass ich zu diesem Zeitpunkt ohne ihn gar nicht in der Lage war zu leben?
Ich hatte schon mit 14 Jahren die erste Bekanntschaft mit diesem „Teufel“ gemacht. Es war auf der Konfirmation einer Freundin. Ich litt unter sehr starken Minderwertigkeitskomplexen und stellte fest, dass mit einem Schluck Sekt auf einmal alles für mich sehr positiv verlief. Auf einmal ging alles viel besser. Ich konnte reden, bekam problemlos Kontakt, ich bekam Anerkennung. Vor allen Dingen fühlte ich mich endlich einmal entspannt.
Mit 17 kam dann die Zeit der ersten Kneipengänge und die Sache nahm ihren Lauf.
Sobald ich nun Gelegenheit hatte etwas Alkoholisches (derzeit in der Regel Sekt oder Bier) zu trinken, griff ich zu. Ich fühlte mich jedes Mal richtig wohl – eben entspannt. Ich war nicht betrunken, nur gut drauf. Angetrunken konnte ich gut Paroli bieten, vor allen wenn ich mich schlecht behandelt gefühlt hatte, allerdings wenn ich wieder nüchtern war, plagte mich das schlechte Gewissen. Schlecht und falsch behandelt fühlte ich mich immer noch, aber ich hatte mal wieder für Streit gesorgt und das war für mich eine große Belastung. Meine eigentlichen Probleme, die ich mit mir selbst hatte, wurden so nie gelöst. Im Gegenteil. Es hatte letztentlich zur Folge, nicht ernst genommen zu werden. Und das schaffte noch größere Probleme.
Schon zu diesem Zeitpunkt entfernte ich mich von dem Menschen, der ich in Wirklichkeit eigentlich war.
Ich spielte die Starke, Kecke, Intelligente etc. und kam nach meinem damaligen Empfinden gut bei den Altersgenossinnen und Altersgenossen an. Man lernte aber ein ganz anderes Mädchen kennen, als das ich in Wirklichkeit war. Leider wirkte sich nun mein Alkoholproblem auch bei der Partnersuche aus. Es führte natürlich dazu, dass es jemand sein musste, der auch gerne trank. Und auch seine Eltern sollten Spaß am Feiern haben. Sonst hätten die mich ja mit Sicherheit abgelehnt.
Also der Schritt in die Anhängigkeit war vorprogrammiert. Der Alkohol wurde irgendwann ein ständiger Begleiter. Bei den geringsten Problemen wurde er eingesetzt. Ich hatte schon im Elternhaus nicht gelernt Probleme zu bewältigen (meine Mutter war ebenfalls Alkoholikerin). Ich wollte immer perfekt sein, damit sie gar nicht erst auftraten. Die ständigen Eheprobleme und die irgendwann folgende Scheidung, was folgte, konnte ich nur mit Alkohol ertragen.
Also mein ganzes Leben bestand bis zu diesem Donnerstag, 26.05.1994 aus dem Denken an Alkohol. Nun stand meine Existenz auf dem Spiel. Keine Arbeit bedeutete den sozialen Absturz und das wäre mein Ende gewesen. Soweit reichte mein Verstand nun doch noch.
Die Zeit nach der Therapie in Bad Essen war dann auch sehr hart. Mein Partner gab nun auch das Trinken auf, und nun mussten wir lernen alle auftretenden Probleme, und das waren nicht wenige, ohne Alkohol zu bewältigen.
Es verging kein Tag, an dem mein Leben nicht wie ein Film an mir vorbei lief. Ich stellte immer mehr fest, wie falsch teilweise mein Handeln und Denken war. Wie weit ich schon in der „Gosse“ gelegen hatte. Ich bemerkte, wie viele Menschen sich mittlerweile schon von mir abgewandt hatten, da sie mit dieser Person nichts mehr zu tun haben wollten.
Ich habe den Weg in ein neues Leben gefunden. Es gibt viele Menschen, die trinken und nicht süchtig werden. Wie wäre mein Leben ohne Sucht verlaufen? Ich hatte einen tiefen Einblick in mein eigenes ICH und sehe noch die Abgründe vor mir. Ich hatte die Chance, mein Leben zu überdenken und etwas wirklich Schönes daraus zu machen.
Ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe!